die Geschichte von Downlaufen
Es hört sich einfach an: Man ruft Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammen und lässt sie gemeinsam laufen. So war dieses Projekt aber anfangs überhaupt nicht geplant. Eine Vielzahl von Irrungen und Wendungen führte uns dahin, wo wir heute stehen.
2014: die Anfänge (Fotos)
Downlaufen entstand aus der Begegnung von Mirko und Florian. Florian hat das Downsyndrom, Mirko nicht. Die gemeinsame Begeisterung für das Laufen ließ die Idee entstehen, dass es noch mehr Menschen mit Trisomie 21 geben könnte, die daran teilhaben möchten.
So kam es zu einem Aufruf mit Hilfe des Vereins KIDS e.V., eines Hamburger Selbsthilfevereins für Menschen mit Downsyndrom und deren Angehörige. Hiernach ein erster Trainingstermin, zu dem allerdings nur ein Interessierter erschien, der auch nie wieder gesehen wurde.
Dies hätte ein schnelles Ende sein können, hätte sich nicht der Schulleiter des Campus Uhlenhorst eingeschaltet und Mirko die Möglichkeit gegeben, Teilnehmende in seiner Schülerschaft zu werben. Am 5. Oktober 2014 wurde somit ein zweiter Versuch gemacht, und diesmal kamen genug Läuferinnen und Läufer, dass man von einer Laufgruppe sprechen konnte.
Geplant war dieses Projekt anfangs als Laufgruppe für Menschen mit Downsyndrom, in dem Mirko als Trainer fungierte. Von einer inklusiven Laufgruppe war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede. Der Ort des Trainings war der Eimsbüttler Park am Weiher. Einmal wöchentlich traf sich die Gruppe dort und lief um den Teich. Als längerfristig Teilnehmende blieben Florian, Timo und Sophie – das Trio, mit dem Downlaufen den Anfang machte.
Der Name Downlaufen wurde direkt nach dem ersten Training als provisorische Bezeichnung erdacht, die dann aber letztlich blieb. In den ersten Monaten war das Training etwas chaotisch und unstrukturiert – jede Woche mit dem Unerwarteten konfrontiert, wuchs in Mirko die Einsicht, dass diese Aufgabe für einen einzelnen nicht zu bewältigen war.
2015 (Q1): ein zweiter Trainer
Am 4. Januar 2015 startete mit Sebastian ein zweiter Trainer in dem Projekt. Damit ließen sich die schnell auseinander laufenden Leistungen weiterhin betreuen, ohne jemanden zurücklassen zu müssen. Im Laufe des Jahres rekrutierten wir auch Vertretungen, die einspringen könnten, wenn Sebastian oder Mirko verhindert waren.
Es entstand nun auch das Downlaufen-Logo, das bis heute verwendet wird – entworfen von Mirkos Schwester Vivien und ausgewählt aus mehreren Entwürfen. Da es damals noch keine einheitlichen Shirts gab, war das Logo allerdings ausschließlich auf unserer Webseite zu sehen.
2015 (Q2): der erste Volkslauf
Als die absolvierte Rundenzahl um den Weiher höher und höher wurde, fassten wir den Beschluss, auch mal an einem Volkslauf teilzunehmen. Tatsächlich war das anfangs gar nicht vorgesehen, und die Idee kam uns erst nach mehreren Monaten. Erwählt wurde der Wilhelmsburger Insellauf am 12. April 2015, der seitdem Jahr für Jahr unsere Laufsaison einläutete. Bei bestem Wetter starteten Timo und Florian, begleitet von Sebastian und Mirko – in jener Anfangszeit war das 80% unseres Personals. Unsere beiden Athleten liefen die 5-Kilometer-Distanz. Normalerweise stehen die Zeiten bei uns nicht so im Vordergrund, aber erwähnt werden soll doch, dass Timo eine Zeit von 33:17 aufstellte. Und bis heute hat bei uns kein Athlet mit Downsyndrom diese Zeit je unterboten.
Es folgten 2015 zahlreiche weitere Läufe, von denen wir manche einmalig ausprobierten und wieder verwarfen, andere aber dauerhaft in unseren Laufkalender aufnahmen.
Zwei Wochen nach der Laufpremiere stieß mit Erik W. ein neuer Teilnehmer zu uns, der uns bis heute erhalten geblieben ist. Viel Fluktuation gab es nicht, hiernach sollte der nächste langfristig bleibende Athlet erst 2019 rekrutiert werden.
Ein weiteres wichtiges Ereignis in jenem Frühjahr war natürlich die Gründung des Vereins Downlaufen e.V. am 31. Mai 2015. Denn bis dahin hatten wir die Läufe und alles Zubehör noch privat finanziert, danach wurden wir durch Spenden und Mitgliedsbeiträge entlastet. Elf Leute trafen sich am Nachmittag im Café Strauss, um den Verein ins Leben zu rufen. Am Anfang stand er auf wackeligen Füßen, war chronisch knapp bei Kasse, aber die Zeiten sind mittlerweile überwunden.
2015 (Q3+4): erstmals im Niendorfer Gehege
Das Trainingsgebiet verlagerte sich allmählich vom Eimsbüttler Park zum Niendorfer Gehege, aber nicht für alle. Ein Trainer machte dann oft das Anfängertraining im Park, der andere lief mit den Fortgeschrittenen durch das Niendorfer Gehege. Und wenn nur ein Trainer da war, deckte er oft beide Trainings hintereinander ab. Diese Trennung sehen wir heute als schweren Fehler an. Anfängern hilft es natürlich, das Ziel der Trainingsmühen vor Augen zu haben, und das haben wir ihnen vorenthalten. Vielleicht wären manche, die ein paar Probetrainings im Park gemacht haben, dabei geblieben, wenn wir früher die Gruppen zusammengelegt hätten.
Im September 2015 startete erstmals ein Downlaufen-Athlet (Florian) über die 10 km, und im Dezember 2015 schlossen wir dieses erste vollständige Jahr mit dem XMass Run des FC Sankt Pauli ab. Alle vier Athletinnen und Athleten gingen an den Start, unser bis dahin größter Lauf.
2016: Laufbegleitungen statt Trainer
2016 gab es bei Downlaufen keine Trainer mehr. Stattdessen stellten wir die Terminologie um, und die Teilnehmenden ohne Downsyndrom wurden nun Laufbegleitungen. Denn Trainer kann jeder sein, auch eine Athletin mit Handicap kann einem Neuling beim Einstieg helfen. Zu Mirko und Sebastian stießen Miriam und Rieke als Laufbegleiterinnen. Bei den Athleten verließ uns leider unser Urgestein Timo, so dass die Zahl dauerhaft anwesender Athletinnen und Athleten auf drei sank.
Das Trainingsgebiet wurde nun für alle dauerhaft das Niendorfer Gehege. Es gab keine separaten Trainings mehr an anderen Orten, alle starteten gemeinsam, und so haben wir es bis heute durchgehalten. Den Eimsbüttler Park ließen wir hinter uns.
Und zu den Läufen 2016 trugen wir erstmals die schwarzen Downlaufen-Shirts mit den gelben Logos, die uns seitdem kennzeichnen.
2017: inklusive Laufgruppe
Weil es kaum Fluktuation gab und wir partout keine neuen Athletinnen und Athleten fanden, änderten wir 2017 die Satzung. Nach der Ursprungssatzung waren wir eine Laufgruppe für Menschen mit Downsyndrom, nach der geänderten Fassung dann für Menschen mit allen Arten geistiger Behinderungen. Dadurch änderte sich allerdings erst einmal nichts an der Zusammensetzung unserer Gruppe, denn erst viel später sollte sich der erste Athlet ohne Trisomie 21 unserer Gruppe anschließen. Trotzdem können wir uns seit diesem Jahr als inklusive Laufgruppe bezeichnen, denn nun waren wir offen für alle, die laufen können und laufen wollen.
2017 erfanden wir auch den Paar-Staffellauf. Hierbei bilden Athletin und Laufbegleitung ein Team, und beide laufen im Wechsel eine kurze Runde, für den Zeitraum von 30 Minuten. Es gewinnt das Team, das die meisten Runden schafft. Wir waren alle selbst überrascht, wie gut der ganze Lauf klappte und wie viel Spaß er brachte, und so war er fortan aus unserem Programm nicht mehr wegzudenken. Allerdings hatten bis Ende 2019 nie mehr als drei Teams daran teilgenommen, und die richtig große Veranstaltung wurde es somit erst in jüngster Zeit – einfach weil wir vorher nicht genug Leute für richtig viele Teams hatten.
2018: beinahe das vorzeitige Ende des Vereins
Im Sommer 2018 kam es zu einer unglücklichen Abfolge von Ereignissen. Ein Athlet namens Serge, der ein Jahr mit uns trainiert hatte, zog aus Hamburg fort; und dann fielen Florian und Erik krankheitsbedingt für mehrere Monate aus. Für eine Mini-Laufgruppe wie die unsere konnte das eigentlich nur den Todesstoß bedeuten. Trotz einer Tour durch Schulen und soziale Treffpunkte gelang es uns nicht, neue Athletinnen und Athleten aufzutreiben.
So zogen wir im Oktober das frustrierende Fazit: „Vielleicht ist Downlaufen ein Angebot, für das es einfach keine Interessenten gibt.“ Es wurde der Entschluss gefasst, zur nächsten Mitgliederversammlung (Mai 2019) den Verein aufzulösen und das Projekt einzustellen, wenn es bis dahin nicht gelänge, neue Teilnehmende zu finden. Und das hätte es gewesen sein können – aber wie man heute sieht, kam alles ganz anders.
2019: der plötzliche Andrang neuer Mitglieder (Fotos)
Vor dem selbst gesetzten Stichpunkt gewannen wir mit Marvin einen neuen Athleten und mit Lisa eine neue Athletin, und Florian und Erik W. kehrten ins Training zurück. Die Laufgruppe war gerettet. Dann kam der unerwartete Herbst 2019, als innerhalb von drei Wochen drei neue Athleten in die Gruppe kamen: Erik H., Milan und Sean.
Wieso funktionierte nun plötzlich, was vorher jahrelang nicht geklappt hatte? Ganz klar ist uns das selbst nicht, denn 2018 hatten wir händeringend gesucht, und 2019 kamen die Neulinge dann ganz von selbst. Zumindest zwei der Neuen hatten gerade unser Mindestalter von sechzehn Jahren erreicht und, wie wir erst jetzt erfuhren, schon länger darauf gewartet, zu uns zu stoßen.
So viele neue Athletinnen und Athleten brachten uns natürlich gehörig ins Schwitzen, weil wir nun mit unseren paar Laufbegleitungen nicht mehr hinkamen, und so vergrößerten wir uns auch in diese Richtung. Wir nennen hier nicht mehr all die Namen der engagierten Laufbegleitungen, die uns über die Jahre seither geholfen haben, aber wir danken ihnen allen.
Die Geschichte von Downlaufen zerfällt in zwei Hälften: 2014 bis 2018, als unser winziger Mini-Nischenverein ständig von der Auflösung bedroht war, und die Jahre ab 2019, als es plötzlich aufwärts ging und so viele heute noch Aktive in den Verein strömten. Eigentlich ging es 2019 erst richtig los.
2020 (H1): Corona (Fotos)
Und dieser euphorische Neuanfang wurde nach wenigen Monaten durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie zum Stillstand gebracht. Alle Pläne für das Jahr lagen plötzlich auf Eis. Viele Vereine des Behindertensports haben es nicht durch die Pandemie geschafft, und zeitweise befürchteten auch wir, dass es uns anschließend nicht mehr geben würde. Alle gemeinsamen sportlichen Aktivitäten wurden verboten. Und nicht nur das, für manche unserer Athletinnen und Athleten, die in betreuten Wohngemeinschaften leben, brach das komplette berufliche und soziale Umfeld plötzlich weg. Dies führte zu erheblicher Frustration, wenn nicht gar Verzweiflung, so dass sich unsere Laufbegleitungen nun mit der Aufgabe konfrontiert sahen, über Telefon und Messenger Kontakt zu halten, zu trösten und Mut zuzusprechen, obwohl uns das selbst manchmal schwer fiel.
2020 (H2): der Kollauflauf, und der zweite Lockdown
Im Sommer konnten wir für wenige Monate laufen, aber ohne unser übliches Programm der Staffelläufe und Volksläufe. Weil alle Volksläufe ausfielen, riefen wir mit dem Kollaulauf eine eigene Veranstaltung ins Leben. Die Athletinnen und Athleten bekamen Startnummern und sollten eine Runde von 1700 m so oft wie möglich durchlaufen. Die Zeit spielte keine Rolle, und alle, die wenigstens eine Runde schafften, bekamen eine Urkunde. Die stundenlange Veranstaltung war ein voller Erfolg, und obwohl eigentlich für eine Zeit ohne Volksläufe konzipiert, wird sie nun jährlich wiederholt.
Es folgte dann der zweite Lockdown, viel länger als der erste, aber nicht mehr so strikt. Denn wir konnten nun immerhin zu zweit laufen, jeweils ein Athlet oder eine Athletin mit einer Laufbegleitung. So starteten Zweierteams für die Dauer von sieben Monaten über die ganze Stadt verstreut, und das war vielleicht die wichtigste Tätigkeit, die unser Verein je ausgeführt hat – nicht so sehr wegen des Sports, sondern vor allem wegen der sozialen Funktion, da wir Menschen stellten, mit denen unsere Athletinnen und Athleten reden und Zeit verbringen konnten.
2021 (H1): der Werner-Otto-Preis (Fotos)
Im Februar 2021, mitten im Lockdown, gewann Downlaufen beim Werner-Otto-Preis der Alexander-Otto-Sportstiftung eine Anerkennung, verbunden mit einem Preisgeld von 5000 €. Die Preisverleihung fand leider online statt wie sonst üblich im Hamburger Rathaus statt, aber dies brachte uns nicht nur das Ende finanzieller Probleme, sondern auch Bekanntheit.
Denn kurz darauf erschien im Hamburger Abendblatt ein ganzseitiger Artikel, in dem Downlaufen vorgestellt wurde, und in der Folge erreichte uns eine E-Mail nach der anderen von Menschen, die mitmachen wollten, sowohl Athletinnen und Athleten als auch Laufpartner und Laufpartnerinnen. Der einzige Wermutstropfen: Wir durften noch nicht wieder in der Gruppe laufen und mussten alle auf eine Warteliste setzen.
Aber als es dann am 6. Juni 2021 nach sieben Monaten Zwangspause wieder losging, waren wir plötzlich doppelt so groß wie vor dem Lockdown. Zunächst mussten wir eine Maskenpflicht am Treffpunkt und Impfpasskontrollen in Kauf nehmen, aber diese Restriktionen fielen bald auch weg. Seit diesem 6. Juni zählen wir auch Linus, Antonio und Florian G. zu unseren Athleten.
2021 (H2): das Adminteam
Die Administration des Vereins war für eine Person nun deutlich zu viel. Nachdem Mirko den Verein seit der Gründung allein geführt hatte, wurde nun ein drei- und bald vierköpfiges Adminteam ins Leben gerufen, das alle organisatorischen Dinge erledigt, die Mails beantwortet und Telefonate mit Athletinnen, Eltern und Betreuern übernimmt.
Beim X-Mass Run 2021 starteten nun zwölf Athletinnen und Athleten, mit ebenso vielen Laufbegleitungen. Es war nun deutlich, dass der Verein die Zeit, in der er wegen Mitgliedermangels von der Auflösung bedroht war, endgültig hinter sich gelassen hatte.
2022: Mittwochsrunden (Fotos)
Weil wir nun einen großen Stamm neuer Laufbegleitungen hatten, sahen wir uns in der Lage, erstmals zwei Trainings pro Woche anzubieten. Neben dem großen allgemeinen Training am Sonntag gab es von April bis Oktober nun auch Mittwochsrunden am Abend. Diese sind viel kleiner als die Sonntagstrainings, was aber auch einen Reiz ausmacht.
Im Jahr 2022 wurde Antonia, die durch den Abendblatt-Artikel des Vorjahres auf unsere Gruppe gestoßen war, zusammen mit Mirko in den Vorstand des Vereins gewählt. Zwar hatte der Verein schon immer zwei Vorsitzende gehabt, aber jetzt war der zweite Name nicht mehr bloß ein Name auf dem Papier, sondern die Vereinsführung hatten nun zwei engagierte Menschen inne. Erweitert wurden sie durch das bereits erwähnte Adminteam.
Dauerhaft als neue Athletinnen und Athleten gewannen wir in diesem Jahr Nele, Fritzi, Carolin und Nils, wodurch wir endlich den stets bedrückend niedrigen Anteil an weiblichen Mitstreiterinnen in unserer Athletenschaft erhöhen konnten.
2023: Athletensprecher (Fotos)
Die bedeutendste Neuerung des Jahres 2023 war die erstmalige Wahl von Athletensprechern, die unsere Athletenschaft im Februar abhielt. Da einer der beiden bald zurücktrat, blieb Milan für ein Jahr in diesem Amt. Die Aufgaben des Athletensprechers waren zunächst vorläufig und sollten in einer einjährigen Testphase ausprobiert werden. So wie es sich bald herauskristallisierte, berät der Athletensprecher das Adminteam, vermittelt zwischen Athletenschaft und Laufbegleitungen und hat vor allem eine soziale Funktion. So ist er zum Beispiel immer dabei, wenn Neulinge in den Verein aufgenommen werden.
Den Paar-Staffellauf, den wir seit 2017 im Programm hatten, führten wir nun an wechselnden Orten durch. Der Plan ist, jeden in einem anderen Hamburger Park stattfinden zu lassen. Damit waren wir erstmals seit 2016 wieder für gemeinsame Trainings an einem anderen Ort als im Niendorfer Gehege.
Neue Athleten, die in diesem Jahr dauerhaft dazustießen, waren Kolja, Michalis und Cyrus.